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Diskussion zur SPD-Zukunft

Der Kritiker des Linksliberalismus

Nils Heisterhagen ist gerade mal 30 und einer der wenigen Intellektuellen der SPD. Die Sozialdemokraten sind ihm zu realitätsfremd geworden.

Der Tagesspiegel:

 

Die Historische Kommission hat für die SPD eine hohe symbolische Bedeutung - nun wird sie einfach abgeschafft. Ein Kommentar.

 

 

Die SPD hat ihre Historische Kommission (HiKo) aufgelöst. Parteichefin Andrea Nahles hat ihre Abschaffung jüngst verfügt und nicht einmal der Bekanntmachung für wert befunden. Für sich genommen, auch mit Blick auf ihre spärlicher gewordenen Aktivitäten, mag das Ende der HiKo nebensächlich erscheinen. Es ist nur mehr symbolischer Natur – aber genau darin liegt die Bedeutung: Das Symbol besagt, dass die heutige SPD, dass jedenfalls ihre Spitzenkräfte keinerlei Geschichtsbewusstsein mehr pflegen wollen. Das ist, exakt 100 Jahre nach der deutschen Revolution, in der die SPD – zusammen mit ihrer Abspaltung USPD – die höchst rühmliche Rolle als eigentliche Geburtshelferin der Weimarer Republik gespielt hat, ein fatales Zeichen. Damals stand die SPD im Zenit ihrer historischen Bedeutung: Sie verhinderte, dass Deutschland nach dem Weltkrieg im Bürgerkrieg versank. Heute ist ihr die HiKo lästig. Begründet übrigens wurde die Kommission1981 von SPD-Bundesgeschäftsführer Peter Glotz unter dem Parteivorsitz von Willy Brandt. Allein diese Konstellation sagt genug über den beiläufigen Schlussstrich von Andrea Nahles. Das Ende der SPD als Volkspartei, überhaupt als politischer Kraft ist näher denn je. Ausgerechnet da will sie von ihrer Geschichte nichts mehr wissen.

 

Lars Klingbeil als Generalsekretär wiedergewählt

Lars Klingbeil bleibt Generalsekretär der SPD. Der 41-Jährige erhielt knapp 80 Prozent der Stimmen. Der Vorstand soll verkleinert werden.


Der SPD-Parteitag hat Lars Klingbeil als Generalsekretär wiedergewählt. 79,93 Prozent der Delegierten stimmten auf dem Parteitag für den Niedersachsen.

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Klingbeil ist seit Ende 2017 Generalsekretär. Der 41-Jährige hat maßgeblich die personelle Neuaufstellung der Partei nach dem Rücktritt der damaligen Partei- und Fraktionsvorsitzenden Andrea Nahles im Juni mitorganisiert.

Klingbeil ist ein Anhänger einer Fortführung der Großen Koalition. Seine Partei hatte auf dem Parteitag dafür gestimmt, vorerst in der GroKo zu verbleiben, aber mit der Union über neue Akzente in der Regierungsarbeit zu sprechen. Anschließend soll der Parteivorstand entscheiden, ob diese Themen im bestehenden Regierungsbündnis umsetzbar sind.

Kleinerer Vorstand, großer Parteitag

Nach der Wahl des Generalsekretärs stimmte der Parteitag dafür, den Vorstand zu verkleinern. Das Gremium soll künftig aus nicht mehr als 34 Mitgliedern bestehen, derzeit sind es mehr als 40. Die Delegierten lehnten zugleich die vorgeschlagene Verkleinerung des Parteitags auf 450 Teilnehmer ab. An diesem Wochenende sind es rund 600 Delegierte.

Schatzmeister Dietmar Nietan hatte zuvor darauf hingewiesen, dass die SPD wegen der schlechten Wahlergebnisse und der schrumpfenden Mitgliederzahl immer weniger Geld zur Verfügung habe. Die finanzielle Handlungsfähigkeit der SPD sei in Gefahr. Die Partei müsse verstehen, dass sie sich nicht mehr den Apparat einer 40-Prozent-Partei leisten könne.

Onlineforen zur Diskussion

Der Parteitag sprach sich außerdem dafür aus, dass die politische Linie der Partei künftig auch in Onlineforen diskutiert werden soll, zusätzlich zu Ortsvereinen und Arbeitsgemeinschaften. Vertreter der Onlineforen sollen auch zum Parteitag entsandt werden.

Neben dem Amt des Generalsekretärs standen fünf Stellvertreterposten zur Wahl. Serpil Midyatli, Landeschefin der SPD in Schleswig-Holstein, schnitt am besten ab und holte 79,8 Prozent. Die Brandenburgerin Klara Geywitz wurde mit 76,8 Prozent gewählt. Die Saar-SPD-Chefin Anke Rehlinger holte 74,8 Prozent. Juso-Chef Kevin Kühnert erhielt nur 70,4 Prozent - aber immer noch mehr als Arbeitsminister Hubertus Heil, der auf lediglich 70 Prozent kam.


SPD-Vize und Juso-Chef Kevin Kühnert: „Ich bin kein Umstürzler”

  • Kevin Kühnert ist der mächtigste Juso-Chef aller Zeiten, ein entscheidender Taktgeber der SPD.
  • Im RND-Interview spricht er über seine Vorstellung von der SPD als Volkspartei. Er fordert Mitarbeiterbeteiligung in Unternehmen – und bedauert, dass Sozialismusdebatten häufig in DDR-Vergleich münden.
  • Der neue SPD-Vize verrät auch, was den 16-jährigen Kühnert am heute 30-Jährigen gestört hätte.

Berlin. Herr Kühnert, Sie sind der politische Aufsteiger des Jahres. Haben Sie diesen Weg bei Ihrer Wahl zum Juso-Chef vor zwei Jahren erwartet?

Nein, sicher nicht. Und ohne die äußeren Umstände ist das auch nicht zu erklären. Ich glaube, in den vergangenen zwei Jahren ist vieles passiert, mit dem viele nicht gerechnet haben.

Sie sind 30 Jahre alt und schon SPD-Vize. Wie hätte der 16-jährige Kevin Kühnert den stellvertretenden Parteivorsitzenden gefunden?

Gute Frage. Ich glaube, er hätte sich gefreut, dass eine Menge seiner Politisierung noch vorhanden ist. Und vielleicht hätte er sich ein bisschen gewundert, dass die Hemden auch noch die gleichen sind.

Ist die SPD noch eine Volkspartei?

Ja, klar. Der Begriff Volkspartei beschreibt für mich den Anspruch, für wen man wirken möchte – für einzelne Interessengruppen oder für die ganze Gesellschaft. Als SPD wollen wir Verantwortung für das Ganze übernehmen. Was aber nicht heißt, dass wir es allen recht machen wollen. Das ist schlicht unmöglich.

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Hat sich das Konzept der Volkspartei durch die Individualisierung der Gesellschaft nicht überholt?

Zweifelsohne ist das Konzept Volkspartei derzeit in der Defensive, aber das ist kein Naturgesetz. Individualisierung ist erst mal etwas sehr Gutes. Jeder soll im Rahmen gemeinsamer Regeln so leben, wie er oder sie es möchte. Das will auch die SPD. Gleichzeitig gibt es aber etwas, das die Menschen bei aller Verschiedenheit teilen: den Wunsch nach Sicherheit. Sicherheit vor Gewalt, Armut, Krankheit und im technologischen Wandel. Das alles lässt sich nicht individuell organisieren, sondern nur gemeinsam.

  • Um Sicherheit zu organisieren, braucht man doch keine SPD.

Wir haben bestimmt nicht immer alles richtig gemacht, aber wer macht es denn sonst? Die SPD spannt ja nicht nur das soziale Netz, wenn jemand seinen Beruf verliert oder krank wird. Sie organisiert auch Sicherheit durch sozialen Aufstieg. Wir haben jüngst eine Mindestvergütung für Auszubildende durchgesetzt und das Bafög verbessert. Wir wollen den gesetzlichen Mindestlohn auf 12 Euro erhöhen, Tarifverträge wieder zum Normalfall machen und ein Recht auf Weiterbildung schaffen. Die SPD ist damit die ernsthafteste Mittlerin zwischen Individualität und Gemeinwohl. Diese Funktion betonen wir noch zu wenig. Das ist auch eine kommunikative Aufgabe.

 

Wer ist derzeit der stärkste Kommunikator in der SPD?

Nehmen Sie als ein prominentes Beispiel Malu Dreyer. Sie vermittelt authentisch und glaubwürdig, was die SPD möchte. Niemand käme auf die Idee, ihr eine taktische Motivation zu unterstellen.

Von außen sagen viele, der stärkste Kommunikator sind Sie.

Ich verfolge schon den Anspruch, dass die SPD klarer kommuniziert, weniger schwurbelt und dabei fair bleibt. Wenn das bei Menschen ankommt, freue ich mich. Ein Ziel ist für mich, wieder mehr junge Menschen für die SPD zu begeistern. Mit den Jusos gelingt uns das gut. Aber ich mache mir nichts vor: Manche halten mich auch für einen Idioten. Ist okay für mich, man könnte es Arbeitsteilung nennen. Wer die Ziele der SPD teilt, der muss nicht alle ihre Mitglieder lieben.

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Der frühere Bundestagspräsident und SPD-Politiker Wolfgang Thierse sagt, die neue SPD-Führung dürfe sich nicht zur Marionette von Kevin Kühnert machen lassen. Was sagen Sie dazu?

Ich hatte leider noch nie ein persönliches Gespräch mit Wolfgang Thierse. Vielleicht nehmen wir uns das beide als guten Vorsatz für 2020 vor. Brieffreundschaften via Zeitung sind ja für alle Beteiligten eher nicht so prickelnd, wie Sie merken.

Sie verkörpern die Sehnsucht nach einem linken Aufbruch. Ist diese Sehnsucht in Ihrer Partei nicht viel weiter verbreitet als in der Bevölkerung?

Die SPD ist eine Partei links der Mitte, sonst wäre ich ihr auch nicht beigetreten. Und in ihrem linken Profil empfand ich sie phasenweise als nicht klar genug, ja. Aber ich bin kein Umstürzler. Viele Ziele, für die ich mich einsetze, sind bis weit in die bürgerliche Mitte konsensfähig: die Reaktivierung der Vermögenssteuer für Multimillionäre und Milliardäre, stabile soziale Sicherungssysteme, Gemeinwohl vor Profitinteressen. Vieles davon war unter Helmut Kohl Realität.

Mit Verlaub: Helmut Kohl hat nicht über eine Kollektivierung von BMW nachgedacht.

Sehr wohl aber über eine demokratische Arbeitsgesellschaft, und um die ging es mir im Interview mit den Kollegen der „Zeit“. Die Probleme bei BMW sind offenkundig nicht die größten, ja. Aber die Zustände bei Billigfliegern, in Teilen des Einzelhandels oder bei großen Wohnungskonzernen offenbaren die volle Härte des Kapitalismus. Und als demokratischer Sozialist prangere ich das an. Und ich sehe da übrigens keinen Konflikt mit meiner Partei, weil sich auch die SPD in ihrem Grundsatzprogramm auf den demokratischen Sozialismus als eine ihrer Wurzeln beruft.

Ist das nicht Folklore?

Nein. Es gab immer wieder Versuche, den Begriff aus dem Grundsatzprogramm herauszustreichen, und nicht umsonst wurden diese Versuche immer wieder verhindert. Es ist wichtig zu wissen, woher man kommt, um zu bestimmen, wohin man will.

Vertreter des pragmatischen SPD-Flügels sagen, mit dieser Haltung würde man bei jeder Betriebsversammlung in der Autoindustrie vom Hof gejagt.

Das Ziel der Vergesellschaftung wichtiger Industriezweige steht auch in der Satzung der IG Metall. Ich finde es schade, dass Sozialismusdiskussionen früher oder später im DDR-Vergleich enden. Eine offene Debatte über unser Wirtschaftssystem ist so kaum möglich. Die Bundesrepublik ist aus guten Gründen ein sozialer Bundesstaat. Unser Grundgesetz verhält sich aber ausdrücklich nicht zur konkreten Ausgestaltung unserer Wirtschaftsordnung.

Wir können die gerne führen und fragen Sie, was Sie konkret unter Kollektivierung von Betrieben verstehen?

Ich stelle mir die Frage, wie man Mitarbeiter stärker an Unternehmen beteiligen kann. Darüber hat schon Frank-Walter Steinmeier 2009 als Kanzlerkandidat nachgedacht. Der war kein Linksaußen in der SPD. Ich kann seinen Ideen von damals einiges abgewinnen: Ich hielte es für wünschenswert, wenn mit der Anstellung bei einem Unternehmen auch Formen der Beteiligung der Mitarbeiter einhergingen.

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Auf freiwilliger Basis ist das jederzeit möglich. Ein Beteiligungszwang wäre aber eine Enteignung.

Wir reden auch über die Verteilung von Vermögen. In unserer Gesellschaft wird Vermögen im internationalen Vergleich sehr gering bis gar nicht besteuert. Unternehmer haben eine große Verantwortung, keine Frage. Aber Beschäftigte tragen diese auch – für sich, ihre Familien, aber auch für das Unternehmen. Übrigens ist sogar Friedrich Merz für mehr Mitarbeiterbeteiligung.

Merz redet über Mitarbeiteraktien als Gehaltsbestandteile. Das ist etwas völlig anderes.

Stimmt. Herr Merz will damit vor allem hintenrum die Altersvorsorge weiter privatisieren. Ich will, dass starke Belegschaften an zentralen Struktur- und Standortentscheidungen beteiligt werden. Seelenlose Konzerne, die an irgendwelchen Finanzplätzen sitzen, werden sich im Zweifelsfall nicht für den Standort Deutschland entscheiden und soziale Belange berücksichtigen. Mitarbeiter werden das immer tun.

Was unterscheidet die SPD, wie Sie sie sich vorstellen, von der Linkspartei?

Eine ganze Menge! Die Linkspartei ist mir persönlich in manchem zu staatsgläubig. Auch in der Außenpolitik sind die Unterschiede groß. Wenn einzelne Abgeordnete der Linkspartei Autokraten wie Nicolás Maduro hofieren, irritiert mich das. Die SPD hat in den 1990er-Jahren die schmerzhafte Erfahrung gemacht, dass Bundeswehreinsätze nötig sein können, um Menschenrechtsverletzungen einzudämmen – über den Weg dahin lässt sich trefflich streiten.

Die Linkspartei ist bisweilen populistischer als die SPD. Kann Ihre Partei davon etwas lernen?

Nein, und ich bestreite die ihrer Frage zugrunde liegende These. Beim Populismus geht es um Elitenverachtung und Verschwörungstheorien. Das ist per Definition ein rechtes Konzept. Linken Populismus gibt es nicht, weil linke Politik emanzipatorisch ist und auf der Grundannahme von der Gleichwertigkeit der Menschen beruht. Abschauen kann man sich von einigen linken Politikern höchstens die Art, wie sie kommunizieren. Diese plastische Sprache, mit der etwa Gregor Gysi komplizierte Sachverhalte verständlich macht, das ist schon spannend.

Gysi hat eine ähnlich flinke Zunge wie Sie. Ist er da ein Vorbild für Sie?

Ich habe keine Vorbilder. Ich mag Kommunikation und höre Leuten gerne beim Sprechen zu. Und natürlich übernehme ich das eine oder andere, das ich gut finde. Das geschieht allerdings eher unbewusst.

Ein engagierter Gesprächspartner: Kevin Kühnert. © Quelle: Thomas Imo/photothek.net

Haben Sie eigentlich schon am Zaun des Kanzleramtes gerüttelt?

Nein. Ich glaube, da bewegt sich auch nichts.

Braucht die SPD denn einen Kanzlerkandidaten?

Ja. Die politische Landschaft ist volatil, Sprünge nach oben und unten sind jederzeit möglich. Aber bevor man einen Kanzlerkandidaten aufstellt, muss man eine politische Stärke haben, die das rechtfertigt.

Wie stark muss man sein?

Bei 13 oder 14 Prozent ist die Schwelle sicher nicht erreicht. Es sollte schon in Richtung 20 Prozent gehen, wenn man ernst genommen werden will. Ich halte das im Übrigen für höchst realistisch: Annegret Kramp-Karrenbauer wird selbst in den eigenen Reihen nicht ernst genommen. Dem kann man als SPD etwas entgegensetzen.

Sie benutzen gerade exakt die gleiche Argumentation wie Olaf Scholz. Wird der am Ende doch noch Kanzlerkandidat? Wäre ja eine interessante Vorstellung ...

Feiertage sind ja dazu da, die Fantasie anzuregen. Das will ich Ihnen nicht nehmen.

Wie verbringen Sie die letzten Tage des Jahres?

Nach den Anstrengungen der letzten Monate lasse ich Politik Politik sein und schalte mal ab. Am besten gelingt mir das in einem Fußballstadion oder in einer Sporthalle. Und ich fahre zum Skispringen, zur Vier-Schanzen-Tournee nach Innsbruck. Darauf freue ich mich riesig.

Böllern Sie an Silvester?

In Innsbruck ist Feuerwerk verboten. Dort gibt es eine Lasershow. Aber auch unabhängig davon bin ich niemand, der Böller oder Silvesterraketen kauft. Ist nicht so meins.